Innovation in 🇩🇪 Unternehmen: Wie’s mit der Kommerzialisierung besser klappen könnte …
 
Ich las heute früh diesen Artikel im Handelsblatt. 👆🏽 Für alle, die im Innovations- und Produktentwicklungsbereich unterwegs sind, sind alle seine Inhalte keine wirklichen News. Aber ich finde es bemerkenswert, dass ich in letzter Zeit immer mehr solche Beiträge in der deutschen Presse lesen kann. Tut sich da was? Entwickelt sich da ein Bewusstsein für den Ernst unserer Lage aus einer kleinen Bubble heraus in eine breitere Masse? Zu begrüßen wäre es.
Der Grund aber, warum mir dieser Artikel einen Schreibimpuls gegeben hat, ist ein anderer: Er stellt u.a. auch noch einmal unser altbekanntes Problem mit der Kommerzialisierung von (techn.) Erfindungen heraus.
Und obgleich wir in Deutschland in der Breite leider auch in der Technologieforschung zurückfallen, denken wir überwiegend aus dieser Brille — in Politik, in Unternehmen und in der breiten Bevölkerung. Das führt dazu, dass wir kulturell Innovation immer noch mit Erfindung gleichsetzen: Deutschland das Land der Tüftler und Erfinder! Dies wiederum führt dazu, dass es in Unternehmen Managementsysteme und -pfade gibt, die nicht selten Over-Engineerte Technologien »ready machen«, die dann aber ohne Geschäftsmodelle da stehen oder an andere “Experten” übergeben werden, die sich ex-post dann auf eine Suche begeben sollen, wie man das »Ding« jetzt vermarkten könnte. Letzteres scheitert sehr oft, denn es wurde am Markt vorbei gebaut mit Happy Engineering.
Mein Standpunkt ist daher: Das Übel fängt schon im Kleinen im Denken auf Unternehmensebene an (die makro-ökonomischen und wirtschaftspolitischen Aspekte des Artikels will ich hier mal ausblenden). Denn Innovation im For-Profit-Kontext ist immer Erfindung plus Kommerzialisierung. Und beides muss, wenn es nicht rein techn. Grundlagenforschung ist, von Anfang an parallel gedacht werden.
Gut geführte Tech R&D Abteilungen in Unternehmen arbeiten in der techn. Entwicklung schon sehr professionell und nutzen auch entsprechende Managementtools, wie das berühmte auf die NASA zurückgehende Technology Readiness Level Meter, welches es Entscheidern aber auch den Teams selber einfacher macht, den Fortschritt von Team und Projekt innerhalb der Zeit- und Budgetgrenzen gut einzuschätzen.
 
 
Was diesen Teams und Entscheidern aber immer fehlt — so zumindest bei unseren co:dify Kunden — sind Readiness Level Meters für die anderen nicht-technischen Risikodimensionen eines Projekts oder Ventures. Das wiederum erschwert die Definition sinnvoller Business R&D Entscheidungsgates, aber auch das stellen der richtigen Fragen zur richtigen Zeit durch das sog. Investment Board (die internen Investoren/Sponsoren des Projektes). Und das führt zu Risikoaversion und dem im Artikel erwähnten Sicherheitsstreben: bloß nicht wieder “was Mutiges” und viel Geld verbrennen. Das hat ja damals auch nicht geklappt, weil der Markt unsere tolle Technologie/Erfindung mißverstanden hat. Es fehlt den Unternehmen schlicht an Managementools und -denkschulen um die nicht-technologischen Aspekte besser zu beurteilen und managen.
Steve Blank hat daher in 2013 das Gegenstück zum TRL populär gemacht: Das IRL (Investment Readiness Level Meter). Das ist super und funktioniert auch gut: Aber in unserer Erfahrung nur mit Teams, die bereits eine gute Vertrautheit haben mit dem Lean Startup Ansatz und typischen Business Design Tools. Wir jedoch haben die letzen 15 Jahre meist mit Lean Innovation-Novizen aus Großorganisationen zu tun gehabt. Großartige Experten in ihrer Domäne, aber vollkommen unvertraut mit den Arbeitsweisen der parallelen Kommerzialisierung (”darum kümmert sich dann Marketing oder Produktmanagement”) und auch mit gewissen Prägungen und Déformation professionnelles. Bei diesen Personen muss das Neue lernen von das Alte Verlernen flankiert werden. Und das dauert nicht nur, sondern braucht auch oft eine regelrechte Tippel-Tappel-Tour. Speziell das frühe Abtesten und Validieren von Wertversprechen in seinen Zwischenschritten fällt in unserer Beobachtung sehr schwer und in jedem Level des IRL à la Steve Blank waren zu viele Detailunterschritte versteckt, die unsere Teams überfordert haben, weil sie nicht explizit genug waren.
Daher habe ich das IRL, welches Desirability und Viability-Aspekte gleichzeitig adressiert, zunächst aufgesplittet und speziell alle Desirability-Validierungslevel herausgezogen und (recht kleinteilig aber didaktisch wirksam) explizit gemacht in einem CRL — Customer Readiness Level Meter. Man könnte es auch Offering- oder Value Proposition Readiness Level Meter nennen — je nach Gusto. Nun sind also drei Risikodimensionen adressiert: CRL (für Desirability, Wünschbarkeit von User und Chooser), IRL (Viability, Lebensfähigkeit am Markt/Geschäftsmodell), TRL (Feasibility, techn. und organisationale Realisierbarkeit). Was dann noch oft fehlt für größere Organisationen ist ein ORL, ein Organizational Readiness Level Meter. Denn für Corporate Startups, Innovations- und Produktteams lauern die größten Hürden oft nicht im Markt selber, sondern in der Akzeptanz und Absorptionsfähigkeit der Organisation. Damit hier Metered-Funding Entscheidungsprozesse und -kriterien für Teams und Entscheider gleichermaßen transparent und fair sind, ist ein solches ORL unerlässlich beim Design des Innovationsmanagmentsystems mit zu gestalten. Für Unternehmen, bei denen Nachhaltigkeit noch eine Rolle spielt gibt es dann noch das SRL (Sustainability Readiness Level Meter), welches Chris Rudolph entwickelt hat.
Et voilá, somit haben wir sie, die wichtigsten Wasserstandsmelder, die uns den Projektfortschritt auf dem Weg zu einer validierten Marktreife anzeigen können und die uns davon befreien nur auf die Technologiedimension zu schauen. Dahinter steckt natürlich noch viel mehr, was auch mitgedacht werden muss, z.B. sinnvolle Gate-Definitionen, Confidence-Level-Modelle aus Team- und Entscheider-Sicht zum beurteilen, ob ein Readiness-Level wirklich erreicht wurde, u.v.m.. Mehr dazu in einem nächsten Blogpost.
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